Ich möchte so gern ein Held sein
Brigitte Reimann und Wolfgang Schreyer – Der Briefwechsel
Hrsg. von Carsten Gansel und Kristina Stella. Berlin: Okapi 2018, ISBN 978-3-9816011-2-1, 540 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag, EUR 26.00
Bestellung über den Verlag
Die in diesem Band erstmals veröffentlichte Korrespondenz zwischen Brigitte Reimann und Wolfgang Schreyer schließt eine Lücke in den bereits erschienenen Briefwechseln der DDR-Schriftstellerin. Der Band ist gleichzeitig die erste publizierte Korrespondenz Wolfgang Schreyers. Der zwischen 1955 und 1972 entstandene Briefwechsel zwischen beiden Schriftstellern ermöglicht auch bislang unbekannte Einblicke in den Literaturbetrieb der DDR.
Ein umfassender Anmerkungsapparat von 164 Seiten entschlüsselt Briefdetails und bietet Hintergrundinformationen, die nicht nur zum besseren Verständnis der Briefe beitragen, sondern auch Zusatzinformationen liefern, die das Umfeld, in dem die Briefe entstanden sind, nachvollziehbar macht. Ein Abkürzungsverzeichnis löst die von Brigitte Reimann und Wolfgang Schreyer verwendeten Kürzel auf. Die in den Briefen erwähnten Personen werden über ein Personenverzeichnis erschlossen. Im Verzeichnis der Briefe werden alle Originalvorlagen aufgeführt, beschrieben und mit Inventarisierungsnummern und Aufbewahrungsorten nachgewiesen. Besonderer Dank gilt an dieser Stelle Wolfgang Schreyer, der – obwohl schon schwer erkrankt – während der Arbeit am Manuskript mit großer Freude und Hingabe mithalf, Fragen und Details zu klären.
The correspondence between Brigitte Reimann and Wolfgang Schreyer, published for the first time in this volume, closes a gap in the previously published correspondence of the GDR writer. The volume is also the first published correspondence of Wolfgang Schreyer. The correspondence between the two writers, written between 1955 and 1972, also provides previously unknown insights into the literary scene in the GDR.
A comprehensive annotation apparatus of 164 pages decodes letter details and offers background information that not only contributes to a better understanding of the letters, but also provides additional information that makes the environment in which the letters were written comprehensible. A list of abbreviations explains the abbreviations used by Brigitte Reimann and Wolfgang Schreyer. The persons mentioned in the letters are listed in an index of persons. In the index of letters, all original documents are listed, described and indexed with inventory numbers and storage locations. Special thanks are due at this point to Wolfgang Schreyer, who - although already seriously ill - helped to clarify questions and details with great joy and dedication while working on the manuscript.
Pressestimmen
Politisch wie literarisch interessant ist der Briefwechsel, den Brigitte Reimann zwischen 1955 und 1972 mit ihrem Kollegen Wolfgang Schreyer führte. Die von Carsten Gansel und Kristina Stella aus dem Nachlass herausgegebenen Briefe widerlegen die pauschalen Urteile über „staatsnahe“ DDR-Schriftsteller auf überzeugende Weise.Holger Teschke in „Neues Deutschland“, 18.07.2018
Für jeden, der Brigitte Reimann noch einmal im Zustand „mittleren Aufgewühltseins“ erleben und auch mehr über ihre tiefgründigen Beziehungen erfahren will, ist dieses Buch ein Muss.
Ida Kretzschmar
Inhalt
Briefe Brigitte Reimann – Wolfgang SchreyerAnhang
Nachwort
Anmerkungen
Abbildungen
Personenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Briefverzeichnis
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Biografie Brigitte Reimann
Biografie Wolfgang Schreyer
Zu dieser Ausgabe
Leseprobe
108. Wolfgang Schreyer an Brigitte Reimann
Magdeburg, 1.III.71
Liebe Brigitte,
herzlichen Dank für Deine Karte vom 11.II., und verzeih die späte Antwort und das mindere Papier (Sohn Robert hat den Rest der Kopfbögen heimlich „vermalt“, wie sich gestern herausstellte). Womit kann ich Dich nur in dieser verdammten Situation zerstreuen? Vielleicht mit meinem Brief an die HV Verlage & Buchhandel? Ich lege die Abschrift bei. Sie antworteten übrigens mit einer Gesprächs-Einladung, und gestern schrieb ich ihnen, ich käme Mitte März, aber nicht allein, sondern mit Walter Basan, und wir kämen dann nicht in eigener Sache, sondern um im Auftrag des hiesigen DSV drei Fragen zu klären, nämlich die überfällige Verkürzung der Prüfungsfristen, das Benachteiligen einzelner Autoren durch die Papierkürzung (neuerlich 15-20% gegenüber 1970) und die unzureichende Arbeit der Beiräte. Hoffentlich kriegen sie nicht noch spitz, daß sie rangungleich verhandeln, wenn sie Vertreter eines Bezirksverbands empfangen, und daß solche Gespräche eigentlich die DSV-Spitze nebst dem finsteren Henniger umgehen (d.h. dessen Entbehrlichkeit aufzeigen). Die letzte Mitgliederversammlung unter der Stabführung von Günter Braun hat uns tatsächlich legitimiert zu diesem den Prinzipien des bürokratischen Zentralismus zuwiderlaufenden Schritt. Der Walter B. übrigens ist doch sehr nett und gar nicht so ängstlich, wie ich früher immer dachte. Wußtest Du, daß er der dienstälteste Dichter am Platze ist und 1946 schon in jenem „Arbeitskreis Literatur“ debütierte – mit Oden, was auch immer das sein mag, denk Dir! –, der außerdem noch zwei Schauspielerinnen, den Kammersänger Schmidt-Walter und einen Strolch enthielt, der hübschen Mädchen u.a. etwas Tanz beibrachte? Dieser Arbeitskreis, eine Vorform des späteren Kulturbunds, gestaltete insgesamt 4 oder 5 bunte Abende, die in einem vertraglich abgesicherten Essen (für die Künstler) gipfelten. Ja, die romantische Aufbauzeit! Die kleine Brigitte muß damals noch im Sand der Neuendorfer Straße gespielt haben, während der liebe Wolfgang Tanzstunden nahm, um bald danach im Stadtgefängnis einzusitzen und später Hustenbonbons zu verkaufen. Lang ist’s her. Die Ausstrahlung des Hochstalinismus übrigens erreichte uns doch nur recht gebrochen, seltsam gemildert durch den Enthusiasmus der Pionierära. Wenn ich noch daran denke, daß mir der Rat der Stadt, irgendein wohlwollender Abteilungsleiter, im Jahre 51 einen Bezugsschein für eine Schreibmaschine gab, auf die bloße Versicherung hin, ich wolle schreiben! Heute unvorstellbar. Inzwischen hat die Bürokratie gewaltig Fett angesetzt, so daß der ganze Organismus bergauf ziemlich keucht und das Fett zu wabbeln beginnt beim Anblick etwa polnischer Ereignisse. Dadurch haben sich in unserem Beruf, wie ich seit Mitte der sechziger Jahre glaube, die Prioritäten geändert, d.h. in erster Linie sollten wir zum Fettabbau beitragen, um die Figur wieder ein bißchen attraktiv zu machen, für die zu werben wir lange Zeit ausschließlich da waren. Hast Du von Wogatzkis letztem Film gehört? Das ND brach die Lobhudelei jäh ab, nachdem gereizte Stimmen der Werktätigen lautwurden, denen man ein ganz neuartiges W.-Werk versprochen hatte, ohne Meister Falk, dafür mit meisterlichem Sex. Über verdrossene Äußerungen in den hiesigen Großbetrieben („Nu verschtehn wir jar nischt mehr“) soll die Bezirksleitung – das Ohr dichter denn je an der Masse – deutlich nach oben berichtet haben.
Genug gelästert für heute, ich berichte Dir wieder (dann nach Hause), was ich mit Walter in Berlin erfuhr. Übrigens, die Versöhnungsinitiative des großen Walter – seine Künstlerberatungen sind das immer – ist von ein paar Ultras offenbar gebremst und unterlaufen worden; die unvollständigen Abdrucke in ND und Kügelgens „Sonntag“ deuten darauf hin. Wie ich aus Verlegerkreisen erfuhr, soll unser Freund (uncertain friend of course) Kant einige seiner Äußerungen anderntags schriftlich zurückgenommen haben. Mir ist es überhaupt ein Rätsel, weshalb ein Kollege, dessen zweifellos gewichtiges Werk man beharrlich verbietet, dann nicht jene Ämter niederlegt, in deren Ausübung er doch dauernd genötigt ist, die Kulturpolitik zu vertreten, die ihn als Autor nicht zu Worte kommen läßt. Aber, wie der Chef einmal sehr richtig bemerkte, das „müssen die Genossen Künstler selber wissen, wie sie das machen“ – da mischen wir uns mal nicht ein.
herzlichen Dank für Deine Karte vom 11.II., und verzeih die späte Antwort und das mindere Papier (Sohn Robert hat den Rest der Kopfbögen heimlich „vermalt“, wie sich gestern herausstellte). Womit kann ich Dich nur in dieser verdammten Situation zerstreuen? Vielleicht mit meinem Brief an die HV Verlage & Buchhandel? Ich lege die Abschrift bei. Sie antworteten übrigens mit einer Gesprächs-Einladung, und gestern schrieb ich ihnen, ich käme Mitte März, aber nicht allein, sondern mit Walter Basan, und wir kämen dann nicht in eigener Sache, sondern um im Auftrag des hiesigen DSV drei Fragen zu klären, nämlich die überfällige Verkürzung der Prüfungsfristen, das Benachteiligen einzelner Autoren durch die Papierkürzung (neuerlich 15-20% gegenüber 1970) und die unzureichende Arbeit der Beiräte. Hoffentlich kriegen sie nicht noch spitz, daß sie rangungleich verhandeln, wenn sie Vertreter eines Bezirksverbands empfangen, und daß solche Gespräche eigentlich die DSV-Spitze nebst dem finsteren Henniger umgehen (d.h. dessen Entbehrlichkeit aufzeigen). Die letzte Mitgliederversammlung unter der Stabführung von Günter Braun hat uns tatsächlich legitimiert zu diesem den Prinzipien des bürokratischen Zentralismus zuwiderlaufenden Schritt. Der Walter B. übrigens ist doch sehr nett und gar nicht so ängstlich, wie ich früher immer dachte. Wußtest Du, daß er der dienstälteste Dichter am Platze ist und 1946 schon in jenem „Arbeitskreis Literatur“ debütierte – mit Oden, was auch immer das sein mag, denk Dir! –, der außerdem noch zwei Schauspielerinnen, den Kammersänger Schmidt-Walter und einen Strolch enthielt, der hübschen Mädchen u.a. etwas Tanz beibrachte? Dieser Arbeitskreis, eine Vorform des späteren Kulturbunds, gestaltete insgesamt 4 oder 5 bunte Abende, die in einem vertraglich abgesicherten Essen (für die Künstler) gipfelten. Ja, die romantische Aufbauzeit! Die kleine Brigitte muß damals noch im Sand der Neuendorfer Straße gespielt haben, während der liebe Wolfgang Tanzstunden nahm, um bald danach im Stadtgefängnis einzusitzen und später Hustenbonbons zu verkaufen. Lang ist’s her. Die Ausstrahlung des Hochstalinismus übrigens erreichte uns doch nur recht gebrochen, seltsam gemildert durch den Enthusiasmus der Pionierära. Wenn ich noch daran denke, daß mir der Rat der Stadt, irgendein wohlwollender Abteilungsleiter, im Jahre 51 einen Bezugsschein für eine Schreibmaschine gab, auf die bloße Versicherung hin, ich wolle schreiben! Heute unvorstellbar. Inzwischen hat die Bürokratie gewaltig Fett angesetzt, so daß der ganze Organismus bergauf ziemlich keucht und das Fett zu wabbeln beginnt beim Anblick etwa polnischer Ereignisse. Dadurch haben sich in unserem Beruf, wie ich seit Mitte der sechziger Jahre glaube, die Prioritäten geändert, d.h. in erster Linie sollten wir zum Fettabbau beitragen, um die Figur wieder ein bißchen attraktiv zu machen, für die zu werben wir lange Zeit ausschließlich da waren. Hast Du von Wogatzkis letztem Film gehört? Das ND brach die Lobhudelei jäh ab, nachdem gereizte Stimmen der Werktätigen lautwurden, denen man ein ganz neuartiges W.-Werk versprochen hatte, ohne Meister Falk, dafür mit meisterlichem Sex. Über verdrossene Äußerungen in den hiesigen Großbetrieben („Nu verschtehn wir jar nischt mehr“) soll die Bezirksleitung – das Ohr dichter denn je an der Masse – deutlich nach oben berichtet haben.
Genug gelästert für heute, ich berichte Dir wieder (dann nach Hause), was ich mit Walter in Berlin erfuhr. Übrigens, die Versöhnungsinitiative des großen Walter – seine Künstlerberatungen sind das immer – ist von ein paar Ultras offenbar gebremst und unterlaufen worden; die unvollständigen Abdrucke in ND und Kügelgens „Sonntag“ deuten darauf hin. Wie ich aus Verlegerkreisen erfuhr, soll unser Freund (uncertain friend of course) Kant einige seiner Äußerungen anderntags schriftlich zurückgenommen haben. Mir ist es überhaupt ein Rätsel, weshalb ein Kollege, dessen zweifellos gewichtiges Werk man beharrlich verbietet, dann nicht jene Ämter niederlegt, in deren Ausübung er doch dauernd genötigt ist, die Kulturpolitik zu vertreten, die ihn als Autor nicht zu Worte kommen läßt. Aber, wie der Chef einmal sehr richtig bemerkte, das „müssen die Genossen Künstler selber wissen, wie sie das machen“ – da mischen wir uns mal nicht ein.
Viele herzliche Grüße
Dein Wolfgang
P.S.: Die Anlage brauche ich nicht wieder, sie ist auch nicht vertraulich zu behandeln.
Dein Wolfgang
[Anlage]
Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik
Ministerium für Kultur
HV Verlage und Buchhandel
Abt. Belletristik, Kunst- und Musikverlage
108 Berlin
Clara-Zetkin-Str. 90
7. Januar 1971
Sehr geehrte Herren,
vielen Dank für Ihren freundlichen Brief vom 16. Dezember 1970, in dem Sie mich in sehr angenehmer Form über die „Adjutant“-Druckgenehmigung informieren, die der MDV inzwischen erhalten habe, zusammen mit Ihren Vorschlägen zu Detailänderungen. Eine gute Nachricht, wenn man seit über einem Jahr auf eine Entscheidung wartet. Gern hätte ich deshalb hier etwas zu Ihren Detailempfehlungen gesagt, aber leider liegen sie mir bis heute (drei Wochen nachdem der Verlag sie bekommen haben muß) noch immer nicht vor. Und das – dieser so großzügige Umgang mit dem Zeitfaktor – veranlaßt mich jetzt zu folgender Betrachtung.
Vor 17 Jahren, im Mai 1954, gab ich meinem Verlag (DNB) nach anderthalb Jahren Arbeit (ohne Studienzeit) das Manuskript des 900-Seiten-Romans „Unternehmen Thunderstorm“, ein Buch, das schwierige politische Fragen anschnitt, die damals von sozialistischen Historikern noch nicht bewertet worden waren. Auch delikate polnische Probleme wurden in meiner Arbeit berührt; daher war es selbstverständlich, daß sie auf dem diplomatischen Wege zur Prüfung bis nach Warschau kam, um jede denkbare Verstimmung in dem Nachbarland auszuschließen, das am längsten und schlimmsten unter dem faschistischen Raubkrieg gelitten hatte. Trotz solcher Erschwernisse erschien das Buch sechs Monate später, im November 1954, auf dem Buchmarkt der DDR und bald auch in Übersetzungen.
15 Jahre darauf, im Juli 1969, gab ich meinem Verlag (MDV) nach anderthalb Jahren Arbeit (ohne Studienzeit) das Manuskript des 400-Seiten-Romans „Der Adjutant“, ein Buch, das komplizierte Fragen der Revolution in Lateinamerika berührt, die von sozialistischen Historikern jedoch schon behandelt worden sind. Wie bei „Unternehmen Thunderstorm“ hatte ich sehr eng, nämlich von Kapitel zu Kapitel, mit einem Verlagslektor zusammengearbeitet, der daraufhin imstande war, unmittelbar nach der Ablieferung des durchkorrigierten Manuskripts sein Gutachten abzufassen. Anders aber als „Unternehmen Thunderstorm“ hatte der kaum halb so starke „Adjutant“ niemals die Chance, ein halbes Jahr nach Abschluß der Niederschrift zu erscheinen: anderthalb Jahre galten inzwischen schon als Mindestmaß; tatsächlich werden es oft zwei Jahre, zweieinhalb Jahre oder noch mehr. – Den kleineren Teil dieser Überdehnung verschulden drucktechnische Engpässe, den größeren eine m.E. ganz unangemessene Verlängerung der Prüfungsfristen. Gestatten Sie mir nun zu diesem Punkt ein paar Gedanken.
Nach meiner Erfahrung hat die Intensität und Dauer der kontrollierenden Begutachtung belletristischer Manuskripte im allgemeinen jene Grenze überschritten, bis zu der sie noch qualitätsverbessernd wirkte. Der Ablauf vollzieht sich bekanntlich in vier Etappen: Selbstbeschränkung des Autors, Prüfung durch den Verlag (2-4 Gutachten), Kontrolle durch Experten (1-3) und Endkontrolle Ihres Hauses. Diese vier Filter sind durch einen sensiblen Mechanismus psychologischer oder verwaltungsmäßiger Rückkopplung miteinander verknüpft; in Ihrem letzten Brief weisen Sie selbst auf diese „unangenehme Dialektik“ hin. Veränderungen im Bereich eines der vier Sicherungssysteme wirken sogleich auf die drei anderen zurück, was gegebenenfalls zu chronischer Verengung, Minderung der Durchlaßfähigkeit und chronischer Verstopfung führen kann, wenn nicht gar zu einer Art Darmverschluß. Der Zustand des Manuskript-Staus scheint in einigen Verlagen offenbar gegeben.
Wie diese Verstopfung im Interesse des Buchangebots, der DDR-Literatur und unserer Sache überhaupt wenn schon nicht zu beheben, so doch zu mildern ist, darüber nachzudenken ist es nach der letzten Herbstmesse wohl an der Zeit. Es erscheint mir als naheliegend, daß Sie dieses Problem bereits energisch untersuchen. Man könnte ebenso bei den Fachgutachtern einsetzen (die Literatur oft mit Propaganda gleichsetzen und vielfach glauben, kraft ihres Fachwissens ohne weiteres in künstlerische Prozesse hilfreich eingreifen zu können) wie bei den Verlagen, denen es an Ansporn von „oben“ ebenso fehlen kann wie es ihnen an Mitarbeit von „unten“ zweifellos fehlt.
Letzteres sage ich nach vierjähriger Mitgliedschaft in einem Verlagsbeirat, der hoffnungsvoll anfing, ein Organ der beratenden Mitwirkung an Verlagsentscheidungen durch Autoren, Literaturkritiker und andere Vertreter unserer Literaturgesellschaft zu sein, ehe er entschlief, da man ihm Kaffee und Kekse, aber nichts mehr zum Mitbestimmen gab. Den Verlagsbeiräten fehlt ein Statut, sie haben auch keine Vorsitzenden; die Verlagsleitungen berufen sie ein (oder nicht) und neigen angesichts ihrer sonstigen Arbeitslast dazu, die Beiräte zum bloßen Dekorationsstück zu machen. Vom DSV war keine Hilfe zu erhalten. So ging der letzte Sinn verloren: den Autoren das Gefühl zu nehmen, eher Objekt der Kulturpolitik zu sein, wie dies von berufener Seite einmal formuliert worden ist.
Mit den meisten meiner Kollegen bin ich – entgegen unseren nächstliegenden Interessen und wohl auch entgegen unserem Ruf – nicht ohne Verständnis für bestimmte Realitäten, für die Wechselwirkung kulturpolitischer Vorgänge und für das Gewicht komplizierter Abwicklungen, die etwa von Ihnen zu bewältigen sind. Denn eine Gesellschaft, die sich nicht nur an der Oberfläche, sondern bis in ihre Tiefe demokratisieren will, steht vor anderen Risiken als eine geglättete, tolerant scheinende Ausbeuterordnung, bei der das Privateigentum feste Grenzen setzt – zwar nicht der Kunstausübung, aber deren Wirkung; eine Ordnung, in der eine monopolitische Machtelite (meist manipulativ) die Spaltung von Geist und Macht zu verewigen sucht. Kein Weg führt uns – bei andauernder Konfrontation mit dem Westen – an den Risiken vorbei: am wenigsten der Dienstweg dilatorischer Behandlung jedes auch nur ansatzweise problematischen Werkes, der Amtsweg der „langen Bank“.
All das hätte ich Ihnen nicht geschrieben, wenn ich resignierend an ein Verfestigen des Zwangs zum beharrenden So-Weitermachen glaubte. Mir scheint mehr Effektivität möglich bei unseren kunstprüfenden Instanzen, in denen doch Kollegen tätig sind, die durchaus die Kraft haben, Elemente dieser und anderer Kritik von seiten der Urheber in ihre Überlegungen und Entscheidungen aufzunehmen.
vielen Dank für Ihren freundlichen Brief vom 16. Dezember 1970, in dem Sie mich in sehr angenehmer Form über die „Adjutant“-Druckgenehmigung informieren, die der MDV inzwischen erhalten habe, zusammen mit Ihren Vorschlägen zu Detailänderungen. Eine gute Nachricht, wenn man seit über einem Jahr auf eine Entscheidung wartet. Gern hätte ich deshalb hier etwas zu Ihren Detailempfehlungen gesagt, aber leider liegen sie mir bis heute (drei Wochen nachdem der Verlag sie bekommen haben muß) noch immer nicht vor. Und das – dieser so großzügige Umgang mit dem Zeitfaktor – veranlaßt mich jetzt zu folgender Betrachtung.
Vor 17 Jahren, im Mai 1954, gab ich meinem Verlag (DNB) nach anderthalb Jahren Arbeit (ohne Studienzeit) das Manuskript des 900-Seiten-Romans „Unternehmen Thunderstorm“, ein Buch, das schwierige politische Fragen anschnitt, die damals von sozialistischen Historikern noch nicht bewertet worden waren. Auch delikate polnische Probleme wurden in meiner Arbeit berührt; daher war es selbstverständlich, daß sie auf dem diplomatischen Wege zur Prüfung bis nach Warschau kam, um jede denkbare Verstimmung in dem Nachbarland auszuschließen, das am längsten und schlimmsten unter dem faschistischen Raubkrieg gelitten hatte. Trotz solcher Erschwernisse erschien das Buch sechs Monate später, im November 1954, auf dem Buchmarkt der DDR und bald auch in Übersetzungen.
15 Jahre darauf, im Juli 1969, gab ich meinem Verlag (MDV) nach anderthalb Jahren Arbeit (ohne Studienzeit) das Manuskript des 400-Seiten-Romans „Der Adjutant“, ein Buch, das komplizierte Fragen der Revolution in Lateinamerika berührt, die von sozialistischen Historikern jedoch schon behandelt worden sind. Wie bei „Unternehmen Thunderstorm“ hatte ich sehr eng, nämlich von Kapitel zu Kapitel, mit einem Verlagslektor zusammengearbeitet, der daraufhin imstande war, unmittelbar nach der Ablieferung des durchkorrigierten Manuskripts sein Gutachten abzufassen. Anders aber als „Unternehmen Thunderstorm“ hatte der kaum halb so starke „Adjutant“ niemals die Chance, ein halbes Jahr nach Abschluß der Niederschrift zu erscheinen: anderthalb Jahre galten inzwischen schon als Mindestmaß; tatsächlich werden es oft zwei Jahre, zweieinhalb Jahre oder noch mehr. – Den kleineren Teil dieser Überdehnung verschulden drucktechnische Engpässe, den größeren eine m.E. ganz unangemessene Verlängerung der Prüfungsfristen. Gestatten Sie mir nun zu diesem Punkt ein paar Gedanken.
Nach meiner Erfahrung hat die Intensität und Dauer der kontrollierenden Begutachtung belletristischer Manuskripte im allgemeinen jene Grenze überschritten, bis zu der sie noch qualitätsverbessernd wirkte. Der Ablauf vollzieht sich bekanntlich in vier Etappen: Selbstbeschränkung des Autors, Prüfung durch den Verlag (2-4 Gutachten), Kontrolle durch Experten (1-3) und Endkontrolle Ihres Hauses. Diese vier Filter sind durch einen sensiblen Mechanismus psychologischer oder verwaltungsmäßiger Rückkopplung miteinander verknüpft; in Ihrem letzten Brief weisen Sie selbst auf diese „unangenehme Dialektik“ hin. Veränderungen im Bereich eines der vier Sicherungssysteme wirken sogleich auf die drei anderen zurück, was gegebenenfalls zu chronischer Verengung, Minderung der Durchlaßfähigkeit und chronischer Verstopfung führen kann, wenn nicht gar zu einer Art Darmverschluß. Der Zustand des Manuskript-Staus scheint in einigen Verlagen offenbar gegeben.
Wie diese Verstopfung im Interesse des Buchangebots, der DDR-Literatur und unserer Sache überhaupt wenn schon nicht zu beheben, so doch zu mildern ist, darüber nachzudenken ist es nach der letzten Herbstmesse wohl an der Zeit. Es erscheint mir als naheliegend, daß Sie dieses Problem bereits energisch untersuchen. Man könnte ebenso bei den Fachgutachtern einsetzen (die Literatur oft mit Propaganda gleichsetzen und vielfach glauben, kraft ihres Fachwissens ohne weiteres in künstlerische Prozesse hilfreich eingreifen zu können) wie bei den Verlagen, denen es an Ansporn von „oben“ ebenso fehlen kann wie es ihnen an Mitarbeit von „unten“ zweifellos fehlt.
Letzteres sage ich nach vierjähriger Mitgliedschaft in einem Verlagsbeirat, der hoffnungsvoll anfing, ein Organ der beratenden Mitwirkung an Verlagsentscheidungen durch Autoren, Literaturkritiker und andere Vertreter unserer Literaturgesellschaft zu sein, ehe er entschlief, da man ihm Kaffee und Kekse, aber nichts mehr zum Mitbestimmen gab. Den Verlagsbeiräten fehlt ein Statut, sie haben auch keine Vorsitzenden; die Verlagsleitungen berufen sie ein (oder nicht) und neigen angesichts ihrer sonstigen Arbeitslast dazu, die Beiräte zum bloßen Dekorationsstück zu machen. Vom DSV war keine Hilfe zu erhalten. So ging der letzte Sinn verloren: den Autoren das Gefühl zu nehmen, eher Objekt der Kulturpolitik zu sein, wie dies von berufener Seite einmal formuliert worden ist.
Mit den meisten meiner Kollegen bin ich – entgegen unseren nächstliegenden Interessen und wohl auch entgegen unserem Ruf – nicht ohne Verständnis für bestimmte Realitäten, für die Wechselwirkung kulturpolitischer Vorgänge und für das Gewicht komplizierter Abwicklungen, die etwa von Ihnen zu bewältigen sind. Denn eine Gesellschaft, die sich nicht nur an der Oberfläche, sondern bis in ihre Tiefe demokratisieren will, steht vor anderen Risiken als eine geglättete, tolerant scheinende Ausbeuterordnung, bei der das Privateigentum feste Grenzen setzt – zwar nicht der Kunstausübung, aber deren Wirkung; eine Ordnung, in der eine monopolitische Machtelite (meist manipulativ) die Spaltung von Geist und Macht zu verewigen sucht. Kein Weg führt uns – bei andauernder Konfrontation mit dem Westen – an den Risiken vorbei: am wenigsten der Dienstweg dilatorischer Behandlung jedes auch nur ansatzweise problematischen Werkes, der Amtsweg der „langen Bank“.
All das hätte ich Ihnen nicht geschrieben, wenn ich resignierend an ein Verfestigen des Zwangs zum beharrenden So-Weitermachen glaubte. Mir scheint mehr Effektivität möglich bei unseren kunstprüfenden Instanzen, in denen doch Kollegen tätig sind, die durchaus die Kraft haben, Elemente dieser und anderer Kritik von seiten der Urheber in ihre Überlegungen und Entscheidungen aufzunehmen.
Mit bestem Gruß, Ihr [Wolfgang Schreyer]
Anmerkungen zu 108. Wolfgang Schreyer an Brigitte Reimann
[...] herzlichen Dank für Deine Karte vom 11.II [...]
Die Karte von B.R., auf die sich W.S. hier bezieht, ist nicht mehr vorhanden.
Womit kann ich Dich nur in dieser verdammten Situation zerstreuen?
Die „verdammte Situation“ meint B.R.s Krebserkrankung, die von Monat zu Monat mehr Besitz von ihr ergreift, die Kliniken in Berlin-Buch und Mahlow zu ständigen Aufenthaltsorten werden lassen; nur unterbrochen von kurzen Atempausen, in denen sie trotz ständiger Schmerzen in einer Fast-Normalität zu Hause in der Neubrandenburger Gartenstraße sein kann. W.S. scheut sich in seinen Briefen davor, auf B.R.s Leiden direkt einzugehen, versucht stattdessen, ihr mit seinen detaillierten Berichten einen direkten Draht zu den Ereignissen im Schriftstellerverband zu vermitteln. Auch Christa Wolf fragt sich in ihrer wenig später entstandenen Tagebucheintragung: „Brief an Brigitte, der mir zuerst schwer fällt: Genau genommen, in welchem Ton und wie überhaupt soll man sie ermuntern?“[1] Die von W.S. in seinem Brief vom 28. Dezember namentlich erwähnte Margarete Neumann, „Deine brave M.N.“, erlaubt an dieser Stelle eine kurze Fortführung der Assoziationskette zum weiblichen Umgang mit B.R.s tragischer gesundheitlicher Situation. B.R. stirbt einen Tag nach Margarete Neumanns 56. Geburtstag, am 20. Februar 1973. Neumann, die ein Wiekhaus im Ortskern von Neubrandenburg bewohnt und ein unheimliches Haus im Wald, wird von ihrer Schriftstellerkollegin B.R. zunächst argwöhnisch beäugt und wegen ihrer Schrulligkeit und Andersartigkeit auf Abstand gehalten. Dann aber entwickelt sich zwischen den beiden Frauen eine intensive Freundschaft. Sie treffen sich, wechseln Briefe und besonders in B.R.s letzten Lebensmonaten wird Margarete Neumann, von B.R. auch Maggy genannt, eine der wichtigsten Stützen und Vertrauten in Neubrandenburg, in dessen Schriftstellerkreisen ansonsten vor allem Männer vertreten sind. Am 19. Februar 1976, ihrem 59. Geburtstag und Vorabend des dritten Todestages von B.R., erinnert sich Margarete Neumann an diese letzten Lebensmonate ihrer Freundin:
„Ich hatte eine Freundin. Ich habe sie kämpfen sehen, in ihren Augen ungläubiges Entsetzen. Warum wird sie so gnadenlos geschlagen. Wie kann das Leben, dem sie sich anvertraut hat, so Unsägliches einschließen. Sie schrieb an einem großen Buch [Franziska Linkerhand – C.G./K.S.], sie war noch nicht vierzig Jahre. Sie hatte kluge, klare Gedanken und dunkle, lebendige Augen, Mandelaugen, die ihr von einem entfernten Verwandten überkommen sein mußten. Wir liebten sie alle. Ich habe ihre Schreie noch immer im Ohr und spüre den harten, hilflosen Zugriff, mit dem sie, mit Daumen und Zeigefinger, mein Handgelenk umspannte, die drei anderen auf seltsame Art weggespreizt.“[2][3]
Wenn ich noch daran denke, daß mir der Rat der Stadt, irgendein wohlwollender Abteilungsleiter, im Jahre 51 einen Bezugsschein für eine Schreibmaschine gab [...]
B.R. bittet W.S. um eine Schreibmaschine, vermutlich um im Krankenhaus an ihrem Manuskript weiterarbeiten zu können. Das ist in der DDR nicht so ohne Weiteres zu realisieren. Im Zusammenhang mit den Bemühungen, für B.R. eine kleine, handliche und krankenhaustaugliche Schreibmaschine zu bekommen, erinnert sich W.S. an seine eigene erste Schreibmaschine.
„Für einen Zeitungswettbewerb schreibe ich zwei Kurzgeschichten im Stil der neuen Zeit. Und die ‚Tägliche Rundschau‘, das Blatt der Besatzungsmacht, honoriert sie fürstlich. Ich bin baff. Die 420 Mark sind mehr als mein Monatsgehalt. Und es gelingt mir, für diesen Betrag eine Büroschreibmaschine zu ergattern. Das Kulturamt in Magdeburg traut mir anhand der Texte zu, Schriftsteller zu werden – welche Überraschung! Bisher hab ich die Bürokratie als hemmend erlebt. Sie engt den Privathandel ein und besteuert ihn hart in klassenkämpferischem Geist. Erstmals zeigt ein Amt sich freundlich, hilft mir beim Sprung in die Selbstständigkeit.“[4]
Hast Du von Wogatzkis letztem Film gehört?
Am 31. Januar 1971 druckt das „Neue Deutschland“ auf Seite 1 die Vorankündigung für den Film (und in den Folgetagen eine Meinungsumfrage zur Ausstrahlung, die dann auf Grund der scharfen Kritik seitens der Arbeiter abgebrochen wurde).
Anlauf : Fernsehfilm. – Potsdam-Babelsberg : DEFA-Studio für Spielfilme, 1970 (TV-Erstsendung: 31.01.1971). – Regie: Egon Günther. Szenarium: Benito Wogatzki.
„‚Anlauf‘, ein neuer Fernsehfilm von Benito Wogatzki, erlebt heute abend, 20 Uhr, im ersten Programm des Fernsehfunks der DDR seine Ursendung. In diesem Film, der nach Wogatzkis Erzählung ‚Die Wichelsbacher Initiative‘ entstanden ist, stellt der Autor der populären Meister-Falk-Serie erstmals eine Liebesgeschichte in den Mittelpunkt der Handlung. Unter der feinfühligen, behutsamen Regie von Egon Günther entstand eine poesievolle, heiter-optimistische Bildschirmerzählung von der Begegnung zwischen dem Ingenieur Jochen Mollenthin und der Arbeiterin Rita, deren Liebe sich in gesellschaftlich wichtigen Entscheidungen bewähren muß. Seinen besonderen Reiz erhält der Film durch die ausgezeichneten schauspielerischen Leistungen der Hauptdarsteller Jutta Hoffmann und Eberhard Esche. An der Kamera stand Roland Dressel.“[5]
[...] herzlichen Dank für Deine Karte vom 11.II [...]
Die Karte von B.R., auf die sich W.S. hier bezieht, ist nicht mehr vorhanden.
Womit kann ich Dich nur in dieser verdammten Situation zerstreuen?
Die „verdammte Situation“ meint B.R.s Krebserkrankung, die von Monat zu Monat mehr Besitz von ihr ergreift, die Kliniken in Berlin-Buch und Mahlow zu ständigen Aufenthaltsorten werden lassen; nur unterbrochen von kurzen Atempausen, in denen sie trotz ständiger Schmerzen in einer Fast-Normalität zu Hause in der Neubrandenburger Gartenstraße sein kann. W.S. scheut sich in seinen Briefen davor, auf B.R.s Leiden direkt einzugehen, versucht stattdessen, ihr mit seinen detaillierten Berichten einen direkten Draht zu den Ereignissen im Schriftstellerverband zu vermitteln. Auch Christa Wolf fragt sich in ihrer wenig später entstandenen Tagebucheintragung: „Brief an Brigitte, der mir zuerst schwer fällt: Genau genommen, in welchem Ton und wie überhaupt soll man sie ermuntern?“[1] Die von W.S. in seinem Brief vom 28. Dezember namentlich erwähnte Margarete Neumann, „Deine brave M.N.“, erlaubt an dieser Stelle eine kurze Fortführung der Assoziationskette zum weiblichen Umgang mit B.R.s tragischer gesundheitlicher Situation. B.R. stirbt einen Tag nach Margarete Neumanns 56. Geburtstag, am 20. Februar 1973. Neumann, die ein Wiekhaus im Ortskern von Neubrandenburg bewohnt und ein unheimliches Haus im Wald, wird von ihrer Schriftstellerkollegin B.R. zunächst argwöhnisch beäugt und wegen ihrer Schrulligkeit und Andersartigkeit auf Abstand gehalten. Dann aber entwickelt sich zwischen den beiden Frauen eine intensive Freundschaft. Sie treffen sich, wechseln Briefe und besonders in B.R.s letzten Lebensmonaten wird Margarete Neumann, von B.R. auch Maggy genannt, eine der wichtigsten Stützen und Vertrauten in Neubrandenburg, in dessen Schriftstellerkreisen ansonsten vor allem Männer vertreten sind. Am 19. Februar 1976, ihrem 59. Geburtstag und Vorabend des dritten Todestages von B.R., erinnert sich Margarete Neumann an diese letzten Lebensmonate ihrer Freundin:
„Ich hatte eine Freundin. Ich habe sie kämpfen sehen, in ihren Augen ungläubiges Entsetzen. Warum wird sie so gnadenlos geschlagen. Wie kann das Leben, dem sie sich anvertraut hat, so Unsägliches einschließen. Sie schrieb an einem großen Buch [Franziska Linkerhand – C.G./K.S.], sie war noch nicht vierzig Jahre. Sie hatte kluge, klare Gedanken und dunkle, lebendige Augen, Mandelaugen, die ihr von einem entfernten Verwandten überkommen sein mußten. Wir liebten sie alle. Ich habe ihre Schreie noch immer im Ohr und spüre den harten, hilflosen Zugriff, mit dem sie, mit Daumen und Zeigefinger, mein Handgelenk umspannte, die drei anderen auf seltsame Art weggespreizt.“[2][3]
Wenn ich noch daran denke, daß mir der Rat der Stadt, irgendein wohlwollender Abteilungsleiter, im Jahre 51 einen Bezugsschein für eine Schreibmaschine gab [...]
B.R. bittet W.S. um eine Schreibmaschine, vermutlich um im Krankenhaus an ihrem Manuskript weiterarbeiten zu können. Das ist in der DDR nicht so ohne Weiteres zu realisieren. Im Zusammenhang mit den Bemühungen, für B.R. eine kleine, handliche und krankenhaustaugliche Schreibmaschine zu bekommen, erinnert sich W.S. an seine eigene erste Schreibmaschine.
„Für einen Zeitungswettbewerb schreibe ich zwei Kurzgeschichten im Stil der neuen Zeit. Und die ‚Tägliche Rundschau‘, das Blatt der Besatzungsmacht, honoriert sie fürstlich. Ich bin baff. Die 420 Mark sind mehr als mein Monatsgehalt. Und es gelingt mir, für diesen Betrag eine Büroschreibmaschine zu ergattern. Das Kulturamt in Magdeburg traut mir anhand der Texte zu, Schriftsteller zu werden – welche Überraschung! Bisher hab ich die Bürokratie als hemmend erlebt. Sie engt den Privathandel ein und besteuert ihn hart in klassenkämpferischem Geist. Erstmals zeigt ein Amt sich freundlich, hilft mir beim Sprung in die Selbstständigkeit.“[4]
Hast Du von Wogatzkis letztem Film gehört?
Am 31. Januar 1971 druckt das „Neue Deutschland“ auf Seite 1 die Vorankündigung für den Film (und in den Folgetagen eine Meinungsumfrage zur Ausstrahlung, die dann auf Grund der scharfen Kritik seitens der Arbeiter abgebrochen wurde).
Anlauf : Fernsehfilm. – Potsdam-Babelsberg : DEFA-Studio für Spielfilme, 1970 (TV-Erstsendung: 31.01.1971). – Regie: Egon Günther. Szenarium: Benito Wogatzki.
„‚Anlauf‘, ein neuer Fernsehfilm von Benito Wogatzki, erlebt heute abend, 20 Uhr, im ersten Programm des Fernsehfunks der DDR seine Ursendung. In diesem Film, der nach Wogatzkis Erzählung ‚Die Wichelsbacher Initiative‘ entstanden ist, stellt der Autor der populären Meister-Falk-Serie erstmals eine Liebesgeschichte in den Mittelpunkt der Handlung. Unter der feinfühligen, behutsamen Regie von Egon Günther entstand eine poesievolle, heiter-optimistische Bildschirmerzählung von der Begegnung zwischen dem Ingenieur Jochen Mollenthin und der Arbeiterin Rita, deren Liebe sich in gesellschaftlich wichtigen Entscheidungen bewähren muß. Seinen besonderen Reiz erhält der Film durch die ausgezeichneten schauspielerischen Leistungen der Hauptdarsteller Jutta Hoffmann und Eberhard Esche. An der Kamera stand Roland Dressel.“[5]
Anmerkungen
[1] Siehe auch B.R. ausführlich in: Lit034. S. 152. [Christa Wolf/Brigitte Reimann. Sei gegrüßt und lebe. Aufbau, 2016][2] Margarete Neumann. Orenburger Tagebuch. Aufbau, 1977. S. 48
[3] Siehe auch ausführlich in: http://www.eckhard-ullrich.de/jahrestage/2620-brigitte-reimanns-maggy (Stand: September 2017).
[4] Siehe auch W.S. ausführlich in: Lit044. S. 119. [Wolfgang Schreyer. Der zweite Mann. Das Neue Berlin, 2000]
[5] Neuer Fernsehfilm von Benito Wogatzki. In: Neues Deutschland (1971-01-31).